Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Kreativität häufig mystifiziert. Schöpferische Begabung galt als ein Privileg weniger Auserwählter. Bereits 1950 prangerte der Psychologe Joy Paul Guilford[2] diese Genie-Perspektive an und plädierte für einen Paradigmenwechsel. Guilford vertrat die Auffassung, dass jeder Mensch kreative Anlagen in sich trägt, die es zu entdecken und zu fördern gilt. Erst der Sputnik-Schock motivierte dazu darüber nachzudenken, wie das allgemeine kreative Potenzial besser genutzt und gefördert werden könnte[3] und ermöglichte den Zugang zu den benötigten finanziellen Mitteln.
Kreativität wird heute als die Fähigkeit verstanden, etwas zu erschaffen, das neu oder originell ist und zugleich nützlich bzw. brauchbar ist. Auch im Fokus eines Design-Thinking-Prozesses steht die Entwicklung innovativer Lösungen, die technologisch machbar und nützlich sind.
Der kreative Prozess
Ein etabliertes Modell des kreativen Prozesses geht auf Graham Wallas[4] zurück. Sein Modell umfasst die Phasen Präparation, Inkubation, Illumination und Verifikation.
1. Präparation – Vorbereitung
Es ist schwierig eine innovative Idee zu entwickeln, ohne sich vorher intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben. Erfinder sind mit den wichtigsten Prinzipien ihrer Disziplin vertraut. Künstler haben sich intensiv mit den Werken ihrer Vorgänger und Zeitgenossen auseinandergesetzt. In der Vorbereitungsphase geht es darum, Informationen und Materialien zu sammeln, das Ziel zu klären und das Problem zu definieren. Das Design Thinking greift diesen Aspekt der kreativen Arbeitsweise in der „Entdecken-Phase“ auf.
2. Inkubation – Ruhephase
In der Inkubationsphase legt der Kreative das Problem beiseite und beschäftigt sich mit Dingen, die augenscheinlich nichts mit der Problemlösung zu tun haben. Diese Phase dient der „unbewussten“ Lösungsfindung. Die in der Vorbereitungsphase gesammelten Informationen werden mit Erinnerungen, bestehendem Vorwissen, aber auch neuen Impulsen aus der Umwelt in Beziehung gesetzt. Ähnlich wie im Nachtschlaf werden neue Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Wissenselementen gebildet – die Grundlage für den ersehnten „Heureka-Moment“. Aus dem Design Thinking kennen wir die Synthesephase, in der im Team die gesammelten Informationen verdichtet und konkretisiert werden. Unbewusstes Problemlösen ist keine eigenständige Phase des Design Thinkings, kommt jedoch indirekt zum Tragen, wenn der Design-Thinking-Prozess durch Pausen unterbrochen wird.
3. Illumination – Geistesblitz
Die Illumination ist der Moment, in dem sich das „Aha-Erlebnis“ einstellt. Im Englischen wird diese Phase oft auch als Ideation bezeichnet und ist damit vergleichbar mit der Phase der Ideenfindung des Design Thinkings. In der Ideenfindungsphase des Design Thinking wird jedoch bewusst mit Kreativitätstechniken gearbeitet, um Ideen zu generieren.
4. Verifikation – Ausarbeiten und Weiterentwickeln
Dem Geistesblitz folgt die Arbeit. Die Idee wird bewusst bewertet, ausgearbeitet und getestet. Diese Phase des Kreativprozesses entspricht den Prozessphasen Experimentieren und Testen des Design Thinkings.
Kreativität und Kreativitätstechniken
Der Sputnik-Schock befeuerte nicht nur die Forschung zu Kreativität an sich, sondern brachte auch eine Vielzahl von Kreativitätstechniken hervor. Insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren entstanden zahlreiche Techniken und Methoden zur angewandten Kreativität und legten den Grundstein für eine bewusste Nutzung.
Im Design-Thinking kommen vor allem in der Phase der Ideengenerierung Kreativitätstechniken zum Einsatz. Es gibt jedoch auch Techniken, die die Problemanalyse und die Ideenselektion unterstützen.
Kreativarbeit ist nicht mit einem klassischen Fertigungsprozess bestehend aus definiertem Ressourceneinsatz, Produktionsprozess und vorhersehbarem Output gleichzusetzen. Es ist wichtig, zu verstehen, dass Design Thinking nur den Rahmen für einen kreativen Prozess liefert. Freiräume, die Unterschiedlichkeit und das Vorwissen der Design-Thinker sowie ein Klima der Fehlertoleranz sind nur einige Einflussfaktoren, die das Ergebnis des kreativen Prozesses zusätzlich beeinflussen.
[1] Der US-amerikanische Präsident Eisenhower hatte erst am 29. Juli 1955 die Entwicklung eines Erdsatelliten angekündigt. Die UdSSR reagierte daraufhin vier Tage später mit der Ankündigung eines ähnlichen Projektes.
[2] Guilford, J. P. (1950). Creativity. American Psychologist, 5(9), 444-454. http://dx.doi.org/10.1037/h0063487
[3] https://www.psychologie.uni-heidelberg.de/ae/allg/mitarb/jf/Funke_2000_Kreativitaet.pdf (Abgerufen am 06.08.2019)
[4] Graham Wallas: The art of thought. London 1926