Der Unterschied zwischen Usability und User Experience lässt sich gut an einem Beispiel illustrieren. Stellen Sie sich vor, Sie planen einen Roadtrip von San Francisco nach Los Angeles. Sie können die Strecke auf dem Interstate-Highway 5 zurücklegen, dem amerikanischen Gegenstück einer deutschen Autobahn. So eine Autobahn ist funktionell, da es keinen Gegenverkehr gibt. Sie ermöglicht es Ihnen schnell von A nach B zu gelangen und die einheitliche Beschilderung erfordert wenig Lernaufwand. Mit anderen Worten: Sie ist wirklich praktisch. Eine vernünftige Wahl! Im Hinblick auf die Usability ist eine Autobahn sehr benutzerfreundlich, aber wenn Sie sie unter dem Gesichtspunkt der User Experience betrachten, ist sie langweilig.
Für Ihre Reise könnten Sie auch die California State Route 1 (CA 1) wählen. Diese Landstraße passiert einen der schönsten Küstenabschnitte der USA. Aufgrund der zahlreichen Kurven ist sie weniger gut befahrbar als die Autobahn, aber sie vermittelt Ihnen eine unvergleichliche Benutzererfahrung. Die CA 1 führt Sie in Serpentinen vorbei an einsamen Stränden und schroffen Felsen mit traumhaft schönen Redwood-Wäldern über Cliffs und Canyons.
Usability befasst sich damit, den Nutzer zur „effektiven, effizienten und zufriedenstellenden Erreichung“ seiner Nutzungsziele zu befähigen (ISO 9241-11). Produkte mit einer hohen Usability sind funktional, einfach und mit weniger geistigem Aufwand nutzbar. Bedienbarkeit wird von den Nutzern erwartet. Sie verhindert bei ihnen Unzufriedenheit, erzeugt aber selbst keine Zufriedenheit.
User Experience (abgekürzt UX) befasst sich mit allen „Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren“ (ISO 9241-210). Das Benutzererleben lässt sich in drei Phasen aufteilen. Diese umfassen nicht nur die Interaktion mit der Anwendung, sondern auch die Phasen vor und nach der Nutzung. Bevor eine Person eine Anwendung selbst nutzt, hat sie Erwartungen an das Produkt. Das Layout der Benutzeroberfläche weckt erste Vorstellungen über die Einsatzbereiche und die Beschreibungen von anderen Nutzern erzeugen Erwartungen. „Vor dem Gebrauch“ umfasst alle Handlungen und Eindrücke, die zu der Nutzung des Produktes oder der Anwendung führen. Hier spielen Markenimage, Testberichte, Hörensagen oder auch frühere Erfahrungen mit ähnlichen Produkten eine Rolle. Je nach Qualität der Erfahrungen, die der Nutzer vor dem Gebrauch sammelt, geht er mit bestimmten Erwartungen an die Nutzung heran. Ebenso kommt der Nutzer „nach dem Gebrauch“ zu einem Urteil des Produktes. Er kann im Nachhinein seine Meinung darüber äußern, wie gut ihm die Anwendung gefallen hat, ob die Anwendung für ihn nützlich war und ob seine Erwartungen erfüllt wurden. Bei dieser Beurteilung spielt auch die Meinung seines Umfeldes eine wichtige Rolle.
Abb.: Die drei Phasen von UX nach Roto (2007, S. 2)[1]
Virpi Roto (2007) gibt zu bedenken, dass sich die User Experience im Nachhinein verstärken oder abschwächen kann. Er skizziert dies am Beispiel eines T-Shirts: Das T-Shirt kann dem Kunden während des Anprobierens gut gefallen. Stellt sich nach dem Kauf heraus, dass ein Popstar dieses T-Shirt ebenfalls trägt, wird es dem Kunden möglicherweise noch besser gefallen. Erfährt er jedoch von einem Freund, dass das T-Shirt mittels Kinderarbeit produziert wurde, gefällt es ihm vermutlich nicht mehr.
Interesse geweckt? Hier geht’s zu Teil 2.
[1] Roto, V. (2007). User experience from product creation perspective. In „E. Law et al. (eds.), Proceedings of the Workshop on Towards a UX Manifesto“ (Vol. 3, pp. 31-34). Online im Netz unter: https://pdfs.semanticscholar.org/3ae3/7d74a0aac4db3a5e232e7c83847f2e3a11ca.pdf